25. Marathon des Sables

Verfasst von Josef Bickendorf für Running TV Bedburg

Der Marathon des Sables, was ist das. Die meisten haben noch nie von diesem Lauf gehört. Auf der Seite von Wikipedia steht:

Der Marathon des Sables (MDS) ist ein anspruchsvoller Etappen-Ultramarathon, der seit 1986 vom Franzosen Patrick Bauer in der marokkanischen Sahara organisiert wird. Die 230 Kilometer lange Strecke wird für jeden Lauf neu bestimmt. Es gibt 6 Etappen in 7 Tagen: fünf Etappen zwischen 20 und 40 km und eine Etappe von ca. 80 Kilometern (2009: 91 km), die die Läufer an einem Stück in knapp zwei Tagen (40 Stunden) absolvieren müssen.

Die Läufer tragen die persönlichen Utensilien und die Verpflegung für das ganze Rennen mit sich. Die Organisatoren stellen nur das tägliche Wasser (ungefähr 9 Liter, abhängig von der Länge der Etappen) und ein offenes Zelt zur Verfügung. Die Läufer müssen mit einer minimalen Überlebensausrüstung wie Schlafsack, Schlangenbiss-Set und 2000 kcal Energie pro Tag ausgerüstet sein. Die sich jährlich ändernde Laufstrecke besteht im Allgemeinen aus felsigen Ebenen, Seebetten, Sanddünen, wobei nur gelegentlich kleine Dörfer durchquert werden. Die Temperatur erreicht tagsüber 40°C und mehr, während sie nachts bis auf 5°C abfallen kann. Der Lauf ist auf ca. 800 Teilnehmer limitiert. Die einzige Anforderung an die Läufer ist eine robuste Gesundheit, welche durch eine medizinische Untersuchung überprüft wird.

Das ist die allgemeine, sachliche Beschreibung. Da es sich in diesem Jahr um den 25. MDS handelt hat Patrick Bauer sich für den Jubiläums-Lauf etwas Besonderes einfallen lassen. Die Strecke war auf eine Rekord-Länge von 250 km verlängert, das Profil besonders anspruchsvoll gestaltet und die Teilnehmerzahl auf ca. 1000 Läufer erweitert.

Was der MDS für mich war, kann ich nur ansatzweise, durch eine Kurzfassung aus meinem Tagebuch, versuchen wiederzugeben.

Donnerstag, 1. April 2010

Heute geht es endlich los. Torsten, ein Läufer aus Hamburg der zum ersten Mal teilnimmt, hat bei mir übernachtet und gemeinsam lassen wir uns nach dem Frühstück zum Frankfurter Flughafen fahren. Dort treffen wir Peter, Günter, Josef aus Österreich und Edwin aus Hannover. Wir werden für die nächsten Tage eine Zeltgemeinschaft sein. Um 15:00 Uhr fliegen wir nach Casablanca und nach 6,5 Stunden Wartezeit weiter nach Quarzazate. Hier fahren wir weiter mit dem Bus in ein Hotel und um 2:00 Uhr stehen wir in einem Raum, der ein Zimmer sein soll. Wir schlafen zum ersten Mal in unseren Schlafsäcken, denn in diesen Betten würde ich nicht mal meinen Hund schlafen lassen.

Freitag, 2. April 2010

Um 5:00 Uhr stehen wir auf und gehen nach dem Duschen zum Frühstück in einen offenen Innenhof. Es gibt Fladenbrot, Croissant und Kaffee. Nach dem Frühstück fahren wir im Bus zu einem Treffpunkt und von dort aus weiter in einer Kolonne Richtung Wüste. Nun bekommen wir auch unser Road-Book und sofort schauen wir uns die geplante Strecke an. Nach fast 7 Stunden geht es mit den Bussen nicht mehr weiter und wir müssen auf die Ladefläche von einem Militär LKW umsteigen der uns zum Biwak bringt. Bei über 30° im Schatten machen wir es uns im offenen Berberzelt bequem. Nach dem Abendessen machen wir unser Nachtlager fertig und um 20:00 Uhr liegen wir in unseren Schlafsäcken auf einem Berberteppich der den steinigen Boden abdeckt. Es ist zwar unbequem doch endlich weiß ich, dass ich beim MDS bin. Am Anfang ist es noch warm, doch im Laufe der Nacht wird es immer kälter. Obwohl hier nirgendwo ein Baum steht, schafft Josef es mindestens 100 von Ihnen abzusägen. Da ich das Gewicht einer Iso-Matte sparen wollte, spüre ich jeden einzelnen Stein und wache mehrmals in der Nacht auf. Das hat aber den Vorteil, dass ich den Sternenhimmel genießen kann und der ist hier in der Wüste einzigartig. Es ist unbeschreiblich wie klar und deutlich man hier jeden einzelnen Stern sehen kann.

Samstag, 3. April 2010

Um 6 Uhr ist die Nacht vorbei und ich gehe ins Badezimmer, ca. 2000 Quadratmeter groß mit einem sandfarbenen Boden und wunderschönen blauen Decke. Die aufgehende Sonne sorgt für die schönste Beleuchtung die man sich wünschen kann. Nach dem Frühstück packe ich meinen Rucksack, denn heute muss ich mich endgültig entscheiden, was ich für die nächsten 7 Tage zum Überleben brauche. Danach geht es zur technischen und medizinischen Kontrolle. Nun muss ich meinen Koffer abgeben und mein Rucksack wird auf den Inhalt der Pflichtausrüstung hin kontrolliert. Bedingt dadurch, dass ich nur das Allernötigste eingepackt habe, erreiche ich ein Gewicht von 10,3 kg ohne Wasser; 8 Kilo im Rucksack und der Rest in der Fronttasche. Danach folgt die medizinische Kontrolle. Dort werden das Gesundheitsattest und mein Ruhe-EKG durch einen Arzt kritisch kontrolliert. Dann noch einige Fragen zu Krankheiten, Medikamentengebrauch und Lauferfahrung und schließlich bekomme ich meine Startnummern, Salztabletten, Transponder, Wasserkarte und Leuchtrakete. Nach dem Abendessen bereite ich meinen Rucksack auf den morgigen, ersten Lauf vor, d.h. das Gewicht optimal verteilen, alles was ich während des Laufs brauche in die Fronttasche, Getränkepulver in die mitgebrachten Tablettenröhrchen füllen um an den Verpflegungspunkten unkompliziert Pulver bereit zu haben, die Einstellung der Riemen und Schnüre, damit nichts wackelt oder scheuert, kontrollieren und ein letzter Probelauf. Mein Frühstück, bestehend aus zwei Oatsnack und einem Müsliriegel, lege ich griffbereit hinter meinen Schlafsack. Um 17:00 Uhr gibt es ein kurzes Briefing. Dort erfahren wir, dass in diesem Jahr 1013 Läuferinnen und Läufer am Start sind, der Frauenanteil liegt bei ca. 10 %, der jüngste Läufer ist 16 Jahre jung, ca. 50 Nationen sind vertreten, die Wichtigkeit regelmäßig zu trinken und die Einnahme der Salztabletten, und, und, und…….

Dann beim Abendessen beginnt der erste Sandsturm. Man kann kaum noch etwas sehen, das Essen wird paniert, doch das ist Wüste und MDS. Um mich vor dem Sand zu schützen, lege ich mich in meinen Schlafsack, den ich komplett schließen muss; doch der Sand dringt trotzdem bis in den Schlafsack ein und da es noch warm ist fange ich an zu schwitzen. Gegen 3:00 Uhr hört der Sandsturm auf, die Temperaturen sinken und das Schlafen wird etwas angenehmer.

Sonntag, 4. April 2010

Um 6:00 Uhr stehe ich auf und gehe in mein geräumiges Badezimmer. Da es noch kalt ist, steige ich zurück in meinen Schlafsack und genieße gemütlich mein drei Gänge Frühstück. Dann ertönt ein lautes „Jalla Jalla“, die Berber rücken an und beginnen die Zelte abzubrechen. Ihnen ist es egal ob noch jemand im Zelt sitzt, sie brechen die Zelte einfach über unseren Köpfen ab und im Nu sitzen wir im Freien. Anschließend packe ich meine Sachen, tape meine Zehen, fülle meine Wasserflaschen auf und entschließe mich, eine Kniebandage anzulegen, denn mein Knie ist kräftig angeschwollen und mit Wasser gefüllt. Da ich bereits seit Wochen Wasserablagerungen im Knie habe, hervorgerufen durch ein Lymphknoten Problem, habe ich vorsorglich eine Kniebandage im Gepäck. Nun geht es zum Start. Nach einem letzten Briefing bekommen die Geburtstagskinder noch ein „Happy Birthday“ und endlich geht es auf die Strecke zur ersten Etappe des 25. Marathon des Sables. Heute stehen zur Einführung 29 km auf dem Programm.

Am Anfang laufen wir bei über 30° über Geröll aus spitzen, scharfkantigen Steinen immer wieder leicht bergauf und bergab, bis es nach 5 km einen Pass hinauf geht. Die Temperaturen steigen schnell an, so dass mein Thermometer bereits über 40 ° im Schatten meiner Fronttasche anzeigt. Oben angekommen bekomme ich endlich etwas Wind ab, doch es geht sofort wieder bergab in einen ausgetrockneten See und die Temperaturen steigen wieder an. Nach 9 km geht es über einen Fluss der noch Wasser führt, danach durch ein Wadi, ein ausgetrockneter Flusslauf, mit metertief ausgespülten Wasserläufen die überwunden werden müssen, wieder hinüber in einen ausgetrockneten See der in der Mitte noch etwas Wasser hat und damit grünt es hier reichlich. Nach 12 km geht es über Dünen zum ersten Checkpoint (CP1). Hier bekomme ich meine Flasche Wasser. Auf jeder Flasche sowie auf dem Verschluss wird meine Startnummer geschrieben. Sollte irgendwo in der Wüste Müll von mir gefunden werden werde ich hart bestraft. Hinter CP1 geht es für 4 km durch flachere Dünen mit Kamelgras. Der Sand hier ist so weich, so dass man kaum Spuren hinterlässt und dadurch wird das Laufen besonders anstrengend. Bei km 17 geht es hinauf auf einen Berg und oben weiter auf einem Plateau wieder mit Geröll aus spitzen Steinen. Jeder einzelne Stein drückt sich durch den Schuh und ich spüre bereits jeden einzelnen Fußknochen. Mein Knie macht sich ebenfalls durch starke Schmerzen bemerkbar was mir etwas Sorgen macht, denn es ist ja erst der Anfang. Das Thermometer zeigt mittlerweile eine Temperatur von über 50° an. Umso wichtiger werden das regelmäßige Trinken und die Einnahme von ausreichend Salztabletten. Meine Uhr meldet mir jeden Kilometer und erinnert mich somit ständig daran. Nach 22 km erreiche ich CP2. Danach geht es weiter über Dünen und Geröll bis zum ersten Etappenziel. Im Ziel falle ich fast um, brauche dringend Schatten und Wasser. Diese Etappe hatte es in sich, mehr als anspruchsvoll, aber einfach toll. Nur mein Knie macht mir ernsthafte Sorgen denn die Schmerzen sind bereits kaum auszuhalten.

Im Zelt mache ich mir zuerst einen Refresher und koche mir anschließend eine Portion Nudeln. Als Nachspeise gönne ich mir einen Harvest-Riegel. Da es weiterhin über 50° ist muss ich mit dem Wasser haushalten, denn die Wassermenge ist begrenzt. Nun ziehe ich mir die Schuhe und Strümpfe aus, entferne das Tape und behandele meine ersten Blasen.

Als Torsten ins Zelt kommt, ist er völlig fertig. Er hat bedingt durch die hohen Temperaturen massive Probleme mit der Wassermenge und seinem Kreislauf. Es dauert 30 Minuten bis er ansprechbar ist.

Dann am Abend kommen die ersten E-Mails ins Zelt und die Stimmung wird schlagartig besser. Es tut gut zu lesen wer sich zuhause für diesen Lauf interessiert und die vielen aufmunternden Worte bauen mich wieder auf. Pünktlich mit der Dunkelheit beginnt der nächste Sandsturm und wie bereits in der letzten Nacht werde ich auch in dieser gesandstrahlt.

Montag, 5. April 2010

Der Tag heute beginnt mit dem üblichen Prozedere. Nachdem die Jalla Jallas uns auf die Sprünge geholfen haben, muss ich als Erstes den Sand der Nacht beseitigen. Er steckt überall, in den Augen, Ohren und der Nase. Die Schleimhäute sind völlig ausgetrocknet. Da es heute besonders heiß und die 35,5 km lange Strecke besonders hart werden soll, starten wir bereits um 9:30 Uhr. Mein Knie schmerzt bereits beim Gang rüber zum Start doch durch meine Bandage bekomme ich etwas Stabilität hinein und hoffe so weiterhin laufen zu können. Nach dem Start geht es zuerst über ein 4 km langes Geröllfeld in Richtung Berge. Nun geht es den ersten Berg hinauf und auf der anderen Seite sofort wieder runter, weiter über eine schmalen Pfad zum nächster Berg. Nachdem der geschafft ist, geht es wieder für 6 km zum CP1. Die Temperaturen erreichen bereits Rekordwerte und ich muss bereits sparsam mit meinem Wasser umgehen. Unter diesen Umständen ist es besonders wichtig, auf die Einnahme der Salztabletten zu achten. Am Checkpoint heißt es wieder meine Flaschen mit Getränkepulver aus meinen vorbereiteten Tablettenröhrchen und Wasser zu füllen, Wasserkarte abknipsen zu lassen und weiter. Es geht weiter durch ein Wadi, in dem ich einige Schaf-, Ziegen- und Kamelherden sehe. Bei km 14 geht es wieder in die Berge und oben weiter über ein Steinplateau, immer wieder auf und ab, dann vorbei an einige Ruinen bis ich den CP2 bei km 20 erreiche. Beim Ablesen der Temperatur kommt mein Thermometer in die Sonne und sofort schießt die Anzeige auf 50°. Ich muss das Thermometer schnell wieder einpacken, da es ansonsten platzen würde. Die Temperaturen sind mörderisch und die Sonne raubt mir neben den steilen Anstiegen die letzte Kraft. Nun geht es wieder durch ein Wadi auf eine endlos wirkende Ebene. In der Ferne sehe ich bereits ein nächstes Gebirge und ich befürchte, dass wir auch dort hinauf müssen. Die Entfernungen in der Wüste kann man nicht einschätzen, es kann nur ein Kilometer sein, aber genauso gut mehr als zehn. Nach einer gefühlten endlosen Zeit erreiche ich den CP3, unmittelbar vor dem Gebirge. Die Temperaturen scheinen immer weiter zu steigen und der Berg macht einen unbezwingbaren Eindruck. Der Sand der Dünen hat sich bis zum Gipfel vor dem Berg gesammelt. Nachdem ich durch den CP3 bin, geht es zuerst auf Geröllmassen bergauf, dann weiter im weichen Sand, was noch mehr Kräfte kostet, dann wieder über Felsgestein steil bergauf und zum Schluss noch mal Sand. Am letzten Stück vor dem Gipfel ist ein Seil gespannt denn ansonsten hätten wir keine Möglichkeit im weichen Sand hier hinauf zu kommen. Überall im Berg liegen Läufer die kraftlos sind oder Kreislaufprobleme haben. Ein Läufer liegt oben und bekommt bereits eine Infusion. Dieser Berg verlangt uns die letzten Kraftreserven ab. Oben weht zum Glück etwas Wind und nach einer kurzen Pause geht es bergab, tierisch steil durch eine enge Felsschlucht, die meinem Knie den Rest gibt. Irgendwann trete ich ungünstig auf einen Stein und mein Knie bricht einfach nach außen weg und ich stürze zu Boden. Zum Glück ziehe ich mir nur einige Schürfwunden zu und kann weiter laufen. Dann kommen noch mal 3 km Dünen und ich erreiche völlig erschöpft das Ziel. Der Rest des Tages verläuft wie gestern, essen, ausruhen, Sandsturm und schlafen.

Dienstag, 6. April 2010

Da in dieser Nacht die Temperaturen nach Mitternacht etwas gesunken sind, habe ich besser geschlafen und wache bereits um 6:00 Uhr auf. Dadurch habe ich genügend Zeit vor den Jalla Jallas zu flüchten und kann mir im Badezimmer genügend Zeit lassen. Nach dem Frühstück, das heute aus einem Fruchtriegel und zwei Oatsnack besteht, bereite ich mich auf den heutigen 40 km Lauf vor. Dabei stelle ich fest, dass ich zwei eitrig entzündete Zehen habe. Von daher tape ich meine Zehen heute besonders sorgfältig. Der Start läuft wie gewohnt ab und es geht nach einem kurzen Dünenabschnitt auf ein steinige, endlos erscheinende Ebene. Die Temperaturen sind mal wieder enorm hoch, steigen von Minute zu Minute. Nach fast 10 Kilometer ist die Ebene geschafft und es geht über einen Hügel in einen Mix aus Steinen und Sand über. Bei km 13 erreiche ich den CP1. Hier heißt es wieder Wasser auffüllen, Salztabletten einnehmen und weiter. Nun geht es durch ein Wadi, weiter über ein Steinplateau und einigen sandigen Abschnitten zum nächsten Checkpoint. Dann wieder auf diese endlosen Ebenen aus Geröll und flachen Dünen, oft mit Sträuchern und Kamelgras, immer weiter geradeaus. Immer wieder treffe ich auf Ziegen- und Kamelherden entlang der Strecke. Mein Thermometer zeigt Temperaturen von fast 50° an und mit meiner Wassereinteilung habe ich leichtsinnigerweise einen Fehler gemacht, habe für die letzten 3 Kilometer bis zum CP nichts mehr in den Flaschen. Mein Mund und Rachen sind völlig ausgetrocknet was dazu führt, dass ich, obwohl die Strecke heute keine großen Steigungen hat, beim CP 3 bei km 35 fast am Ende meiner Kräfte bin. Die letzten 5 Kilometer bestehen wieder aus flachen Dünen und Steinen, aber weiterhin flach. Ich schaffe es mein Tempo noch etwas zu steigern doch in jeder Düne schmerzt mein Knie bis zum Umfallen. Als ich das Ziel erreiche, brauche ich dringend Wasser und begebe mich schnell zum Zelt, damit ich in den Schatten komme. Nachdem ich meine Schuhe ausgezogen habe, sehe ich, dass sich meine entzündeten Zehen verschlechtert haben. Ich behandele meine Füße und koche mir anschließend mein Abendessen. Das Essen fällt mir aufgrund der Erschöpfung und der Hitze jeden Tag schwerer, doch ich weiß, dass ich die nächsten Tage nicht überstehe, wenn ich nicht genügend Energie nachtanke. Also zwinge ich mich dazu zu essen und zu trinken. Mein Knie schmerzt mittlerweile selbst im Ruhezustand, doch solange ich es ohne Schmerzmittel schaffe verschwende ich keinen Moment mit dem Gedanken aufzugeben. In dieser Nacht schlafe ich schlecht, denn ich weiß nicht, wie ich meine Füße und mein Knie schmerzfrei lagern soll.

Mittwoch, 7. April 2010

Ich bin ich mal wieder früh wach und begebe mich ohne das Licht einzuschalten ins Bad. Meinen Füßen geht es mittlerweile etwas besser, doch da ich super filigrane, gewichtsoptimierte Hotelschlappen trage, spüre ich jeden einzelnen Stein. In dieser Nacht war kein Sandsturm, doch beim Sonnenaufgang sieht die Luft aus, als ob es neblig wäre, nur es ist kein Nebel, es ist feiner Sand, der bei dieser Windstille wie Nebel in der Luft hängt. Für heute steht die sogenannte Königsetappe auf dem Programm: 82,2 km durch die Wüste. Das Zeitlimit beträgt 35 Stunden und einen großen Teil der Strecke werden wir im Dunklen mit Hilfe der als Pflichtausrüstung mitgeführten Stirnlampe zurücklegen müssen. Der Start ist auf 8:30 Uhr vorgezogen da es heute besonders heiß werden soll. Ich bekomme zum Frühstück nur zwei Energieriegel runter, einen weiteren packe ich mir in die Fronttasche, gemeinsam mit den Getränkepulver gefüllten Tablettenröhrchen. Auf dem Weg zum Start ist es bereits über 30° im Schatten und um uns aufzuheitern, denken wir an die armen Teufel in Deutschland, die augenblicklich wohl hinter der Heizung sitzen.

Nach dem Start geht es auf eine lange Gerade von 13 km aus flachen, weichen Dünen im Wechsel mit steinigem Untergrund und immer wieder Vegetation zum ersten CP. Als ich ihn erreiche, ist es bereits über 40°. Nun geht es zuerst bergauf und dann weiter in die Dünen, immer wieder rauf und runter, weiter durch ein Wadi und eine Schlucht und wieder Dünen. Es geht einen Berg rauf und auf der anderen Seite im weichen Sand viele Meter steil bergab. Der Sand ist so locker, dass ich bis über die Knie im Sand versinke. Nach 26 km erreiche ich den zweiten Checkpoint. Dann geht es hinein in einen ausgetrockneten Salzsee in dem die Temperaturen unerträglich sind. Am Ende sehe ich ein Gebirge, doch die Entfernung kann man hier mal wieder nicht einschätzen. Mitten auf dem See steht einsam und verlassen ein Esel und schaut uns zu ohne sich zu bewegen. Ihm scheint es ebenfalls zu heiß zu sein. Ich frage mich, ob er weiß, dass er ein Esel ist oder ob er denkt ich wäre einer, da ich mich bei diesen Temperaturen durch die Wüste quäle. Als ich das Ende des Sees erreiche, sehe ich, dass es weiter in eine hohe Schlucht geht. Plötzlich kommt aus dieser unser Hubschrauber geflogen, nur wenige Meter über unsere Köpfe hinweg, eine tolle Abwechslung. In der Schlucht stehen einige Lehmhütten und die Bewohner schauen dem seltsamen Geschehen zu. Die Temperaturen werden auch hier nicht besser und ich muss mir mein Wasser und die Salztabletten genau einteilen. Der Versuch etwas zu essen ist gescheitert, ich bekomme bei diesen Temperaturen nichts runter. Hinter der Schlucht geht es weiter über ein Geröllplateau zum CP 3 bei km 39. Hier muss ich zum ersten Mal in das Zelt der Doc Trotter, denn ich habe mir eine Blase unter dem linken Fuß gelaufen. Nachdem Sie meinen Fuß behandelt und mit Tape eingewickelt haben geht es weiter, zuerst durch ein Wadi und dann in die Dünen, wieder ein Wadi und wieder Dünen, immer weiter zum nächsten Checkpoint bei km 51. Hier mache ich alles fertig für die Nacht, das heißt einen Leuchtstab durch Knicken aktivieren und an den Rucksack hängen, die Gläser meiner Brille gegen Klarsichtgläser tauschen und die Stirnlampe aufsetzen. Nun geht es für die nächsten 10 km im ständigen auf und ab über hohe Dünen was mir die letzten Kräfte aus den Beinen saugt. An mein Knie darf ich nicht denken; denn die Schmerzen sind oft nur noch schwer auszuhalten. Nun kommt der Zeitpunkt; an dem ich alles ausblenden muss und nur noch eins im Kopf habe: Laufen, laufen, laufen. Ich stelle mir einen Kreis vor mit unterschiedlichen Farben. Grün für laufen, rot für Schmerzen, blau für Erschöpfung und so weiter. Sobald eine andere Farbe als grün auftaucht, überstreiche ich sie mit grüner Farbe. Das einzige was ich noch zusätzlich auf mich einwirken lasse, ist der Sternenhimmel, wie immer unbeschreiblich schön hier in der Wüste. So erreiche ich irgendwann CP 5. Hier wieder das übliche Prozedere und weiter mit der gleichen Taktik. Ich möchte keine Schlafpause einlegen, möchte die Etappe ohne Pause durchlaufen.

Es geht wieder in die Dünen und in der Ferne kann ich bereits einen Laserstrahl sehen, der in den Himmel leuchtet: Er steht beim CP 6 und dient unserer Orientierung. Kurz vor dem Checkpoint ist dann endlich einmal Schluss mit den Dünen und es geht auf ein Steinplateau weiter. Ich habe das Gefühl, meine Beine würden platzen und so langsam geht mir die Farbe aus. Doch für die letzten paar Kilometer heißt es noch mal kräftig pinseln und weiter, wieder Steine und Sand im ständigen Wechsel. Dann sehe ich scheinbar direkt vor mir das Biwak, doch meine Uhr sagt mir, dass es noch 8 km sind. Das Ziel vor Augen schaffe ich auch dieses Stück und komme völlig ausgelaugt im Ziel an. Hier bekomme ich meine Wasserration und gehe hinüber zum Zelt. Die 300 Meter kommen mir vor wie 5 Kilometer. Im Zelt dann noch schnell einen Refresher trinken und ein Essen kochen, denn nur so kann ich regenerieren. Dann lege ich mich in meinen Schlafsack, schaue mir noch einen Moment den Sternenhimmel an und weiß nun, dass ich den MDS schaffen werde.

Donnerstag, 8. April 2010

Heute ist ausschließlich Wunden lecken angesagt. Den ganzen Tag kommen Läufer im Ziel an und werden durch Beifall begrüßt. Zum Frühstück schaffe ich gerade eine halbe Tüte Studentenfutter und einen halben Liter Wasser. Meine Füße bedürfen nun dringend Pflege. Die Blasen müssen aufgestochen und desinfiziert, die entzündeten Zehen behandelt werden. Am Nachmittag bekommt jeder Läufer eine Dose Fanta von der Organisation, welch ein Luxus in der Wüste. Ich trinke nur einen kleinen Schluck davon und gebe den Rest Torsten, er braucht dringend Zucker, denn er ist völlig erschöpft. Den Rest des Tages verbringe ich mit faulenzen und Fußpflege. Am Abend koche ich mir ein Essen und gehe früh schlafen.

Freitag, 9. April 2010

Heute kommen die Jalla Jallas bereits um 6:30 Uhr. Kaum habe ich Sie gehört, liege ich auch schon im Freien. Wir sehen mittlerweile alle ganz schön erschöpft aus und sind um einiges abgemagert. Der Weg zum Start fällt allen Läufern ziemlich schwer doch für heute steht „nur“ ein Marathon an. Nach dem Start brauche ich eine ganze Zeit bis ich flüssig laufen kann. Dann trete ich in einen Dornenbusch und ein Dorn bohrt sich durch meinen Schuh seitlich in den Fuß. Nun heißt es Gamaschen runter, Schuh aus, den Dorn entfernen und alles wieder anziehen. Endlich geht es weiter durch ein Wadi, dann ein Seinplateau und hinein in die Dünen mit Kamelgras. Nach 13 km erreiche ich CP1 und es geht in die Dünen, dann wieder Geröll und anschließend wieder in ein Wadi mit metertiefen Quergräben, die immer wieder überquert werden müssen. Immer wieder heißt es bis zu 6 Meter hinab und auf der anderen Seite wieder hinauf zu klettern. Heute sind die Temperaturen zwar genau so hoch wie an den anderen Tagen, doch es weht die ganze Zeit ein leichter Wind. So geht es heute weiter, Dünen, Wadis und Steinplateaus. Nach CP3 bei km 36 geht es flach weiter und ich kann sogar das Tempo etwas steigern. Im Ziel ist wieder Windstille, doch nun sind die schweren Etappen geschafft. Im Zelt koche ich mir eine Portion Früchtemüsli. Am Abend gibt es eine Vivaldi-Oper, mitten in der Wüste. Viele sitzen vor der Bühne, doch ich lege mich in meinen Schlafsack, schaue mir den Sternenhimmel an und lausche der Musik. Diesen Moment kann man nicht wirklich beschreiben, er wird für immer unvergesslich für mich bleiben. Dann nehme ich mir die E-Mails und lese diese in aller Ruhe. Dieser Abend ist einer der schönsten Momente, die ich je im Leben erfahren habe.

Samstag, 10. April 2010

Ich werde heute schon früh wach, der letzte Tag in der Wüste und die letzte Etappe des 25. Marathon des Sables. Heute kommen keine Jalla Jallas, denn die Zelte müssen nicht mehr abgebrochen werden. Im gesamten Biwak geht es heute behutsam zu, denn heute müssen wir nur noch 21 km laufen. Zum Frühstück bekomme ich nur noch einen Riegel runter, doch für die paar Meter bis zum Ziel wird es wohl reichen. Die 50 langsamsten Läufer starten bereits um 8:00 Uhr, die anderen gehen um 9:00 Uhr auf die Strecke. Nach dem Start geht es sofort für 3 Kilometer in die Dünen, dann wie immer Steinplateaus, Gebirge und Sand. Ab CP 1 bei km 14 geht es dann für den Rest der Strecke wieder in die hohen Merzouga-Dünen, die höchsten Dünen Marokkos. Irgendwann erreiche ich die Spitze der letzten Düne und stehe ca. 500 Meter vor dem Ziel, meine Beine rennen die Düne hinab und dann noch mal 300 Meter leicht bergauf zum Ziel. Dann habe ich es geschafft, den 25 Marathon des Sables, 250 km durch die Wüste Marokkos, 3450 Höhenmeter. Patrik Bauer umarmt mich und überreicht mir die Medaille. Die Bilder und Emotionen die sich hier im Ziel abspielen sind unbeschreiblich, die muss man selbst miterleben.

In einem Lied der Bläck Fööss heißt es: Mädsche dürfe kriesche, Indianer dürfe dat nit. Wenn ich mich umschaue, sehe ich, hier ist kein Indianer gelaufen.

Dann irgendwann kommen die Schmerzen in meinem Knie zurück, fast unerträglich. Irgendwie waren sie für die letzten Meter verschwunden, doch dieses Gefühl hier im Ziel war jeden einzelnen Schmerz wert. All die Qualen, Entbehrungen, Müdigkeit, Momente der völligen Erschöpfung, die Hitze, der Durst, all diese waren es wert, hier zu laufen. Der Marathon des Sables ist nicht nur ein Lauf, er ist viel, viel mehr. Nur beschreiben kann man es nicht. Den Marathon des Sables muss man erleben.

Nun gehe ich raus aus dem Zielbereich, bekomme eine Flasche Wasser ohne meine Startnummer darauf. Ich frage die freundliche Französin, ob sie nicht noch einmal meine Nummer auf die Flasche schreiben könne, doch Sie hat keinen Edding. Dann bekomme ich noch ein Lunch-Paket und lege mich in ein Berberzelt. Genüsslich esse ich Fladenbrot und trinke einen kalten Orangensaft.

Dann irgendwann geht es im Bus zurück nach Quarzazate, nun in ein 4 Sterne Hotel. Dort bekomme ich meinen Koffer zurück und kann seit langem mal wieder duschen. Beim Blick auf die Wage stelle ich fest, dass ich in der Wüste nicht nur 6 Zehnägel sondern auch 8 Kilo Gewicht verloren habe. Am Abend gibt es noch ein „richtiges“ Essen, einige Flaschen Rotwein bevor ich mich müde ins Bett lege.

Sonntag, 11. April 2010

Heute bummeln wir gemütlich durch den Ort, besuchen den Markt und sitzen in Kaffees bei heißem Tee und kaltem Wasser. Wir lassen es uns so richtig gut gehen. Am Abend gibt es noch mal ein Essen im Hotel und mindestens zwei Flaschen Wein zuviel bevor ich ins Bett gehe.

Montag, 12. April 2010

Um 3:00 Uhr heißt es aufstehen, eine Tasse Kaffee zum Frühstück und dann im Bus zum Flughafen. Es geht über Casablanca zurück nach Frankfurt und nun endet der Marathon des Sables endgültig. Nur nicht in meinem Kopf, dort bleibt er für immer und ewig erhalten. Einziger Trost: Ich bin bereits für den 26. MDS in 2011 gemeldet!!!